360 Grad Feedback für Studierendenprojekte
EinE erfolgreiche ProjektmanagerIn erfordert eine große Bandbreite an notwendigen Kompetenzen, die über das Erwerben der Projektmanagement-Methodenkompetenz hinausgehen.
Aus diesem Grund ist das „Projektpraktikum“ als fächerübergreifende Lehrveranstaltung konzipiert. Die Studierenden sind gefordert, die Praxistauglichkeit ihrer erworbenen Kompetenzen in einem konkreten Projekt für einen externen Auftraggeber, in der Regel Unternehmen, zu erproben, als Projektteam den Projektauftrag erfolgreich umzusetzen und darüber zu reflektieren.
Ablauf des 2semestrigen Projektpraktikums
Am Beginn der Lehrveranstaltung präsentieren Unternehmen, die vom Studiengang als Kooperationspartner akquiriert wurden, in einer gemeinsamen Veranstaltung mit Studierenden Projektideen. Dabei handelt es sich um reale Problemstellungen im betreffenden Unternehmen. Die Unternehmen agieren dabei als (potentielle) Projektauftraggeber.
Danach werden Projektideen und Studierende gematcht und jedes Studierendenteam erarbeitet einen Lösungsvorschlag, der mit dem Auftraggeber abgestimmt werden muss. Nach erfolgter Abstimmung wird der Vorschlag in Form eines vom Studierendenteam zu erstellenden Projektvertrags für beide Seiten verbindlich. Diese Aktivitäten sind die Hauptaktivitäten im ersten Semester des Projektpraktikums (2 ECTS). Die im Rahmen des Projektvertrags geregelten Ziele und Modalitäten des Projekts werden von der Studierendengruppe in einen Projektplan gegossen, der im 2. Semester (6 ECTS) umgesetzt wird. Die bis zum Ende des zweiten Semesters zu erarbeitenden Ergebnisse müssen vom Projektauftraggeber abgenommen werden.
Lernziel-Matrix als Basis für eine kompetenzorientierte Beurteilung
Als erster Schritt müssen die Lernziele analysiert werden, die in einem Projektpraktikum abhängig vom Studiengang sehr vielfältig sein können. Beim Studiengang „Projektmanagement & IT“ soll das in den Vorsemestern angeeignete Wissen aus verschiedenen Fachbereichen (PM, BWL, Recht, Persönlichkeitsentwicklung, Englisch) sowie die bei berufsbegleitenden Studierenden oft relevante Berufserfahrung sinnvoll in einem konkreten Projekt angewendet werden. Wie bei Projekten üblich ist der erfolgreiche Abschluss nicht garantiert, dieser hängt einer Vielzahl von Faktoren und ihrem komplexen Zusammenspiel ab: Zusammenarbeit im Team und Management des Teams, Stakeholder-Management, Leistungserbringung mit klaren Budgetrestriktionen und Restriktionen, die aus projektspezifischen Risiken erwachsen.
Die Studierenden sind über den gesamten Projektlebenszyklus selbst für Planung, Umsetzung und Erfolg des Projekts verantwortlich und werden dabei vom/von der LektorIn gecoacht.
Die dafür entwickelte Lernziel-Matrix ermöglicht es, unterschiedliche Kompetenzdimensionen (Fach-, Methoden, Sozial- und Selbstkompetenzen) mit einer auf Anderson & Krathwohl (2001) basierenden Lernzieltaxonomie zu verknüpfen und einzelne Lernziele noch stärker bestimmten Arbeitsphasen im Projekt zuzuordnen (Beispiel für das 2. Projektsemester sowie weitere Informationen in der Dowdnload-Datei).
Im Projektpraktikum ist die Eigenständigkeit und Selbstverantwortung der Studierenden in der Projektdurchführung besonders wichtig. Daher wurde besonderes Augenmerk darauf gelegt, die Lernzielstufen Anwenden, Analysieren und Evaluierung in verstärktem Maß mit Sozial- und Selbstkompetenzen zu verknüpfen. Damit wurden in die Lernzielformulierung sowohl Kompetenzen integriert, die sowohl für spezifische Berufsfelder im Projektmanagement als auch solche, die als Querschnittskompetenzen für fachübergreifende Tätigkeitsbereiche hoch relevant sind.
So sind die Studierenden zum Beispiel gefordert, auf der Lernzielstufe „Analysieren“ unter Demonstration sozialer Kompetenzen die Projektaufgaben und -rollen der Teammitglieder aufgrund der Fähigkeiten und Interessen der Teammitglieder selbstständig zu verteilen und zu begründen. Im Bereich der Selbstkompetenzen wiederum zählt beispielsweise eine Selbstbewertung und Reflexion der eigenen Beiträge zur Teamarbeit und zum Gelingen des Projektvorhabens zu den Aufgaben der Studierenden.
Strukturierter Reflexionsprozess
Eine wichtige, für die Studierenden aber oft neuartige und deshalb schwierige Lernstufe stellt das „Evaluieren“ der individuellen wie auch der Teamperformance dar. Der/die LektorIn kann die Teamzusammenarbeit nur von außen beobachten, die konkreten individuellen Beiträge jedes Teammitglieds sind für ihn/sie meist nicht sichtbar. Aus diesem Grund wurde am Ende jedes Semesters ein vierstufiger Reflexionsprozess eingeführt:
- Schritt 1: Mittels Fragebögen zur individuellen und Teamperformance bekommt der/die LektorIn einen Einblick in die Teamaktivitäten und -leistungen (nähere Beschreibung der Fragebögen finden Sie in der Download-Datei.
- Schritt 2: Vertrauliche Einzelgespräche als Möglichkeit für individuelle Reflexion und darauf aufbauendes Coaching
- Schritt 3: Daran schließt eine Gruppenreflexion an, um die bisherige Teamperformance zu reflektieren und daraus Verbesserungsvorschläge und Lessons Learned zu bearbeiten.
- Schritt 4: Darauf aufbauend sollen die Studierenden jeweils individuell und schriftlich über das bisherige Projekt reflektieren und Entwicklungsziele entwickeln.
Für diesen Reflexionsprozess ist es wichtig, dass erst das Ergebnis von Schritt 4 beurteilt wird. Es bildet einen Teil eines neuen vielfältigen Beurteilungsspektrums.
Kompetenzorientierte Prüfungsformate
Die Bewertungsmethoden für Einzel- und Gruppenleistungen wurden auf Grundlage der Lernziel-Matrix erstellt. Dabei gab es folgende Leitgedanken:
- Die Prüfungsmethoden mussten geeignet sein, die Erreichung der angestrebten Lernergebnisse handlungsorientiert in Form von konkretem Verhalten und konkreten Projektergebnissen zu erfassen.
- Da in der Lehrveranstaltung 8-9 Studierendengruppen mit unterschiedlichen LehrveranstaltungsleiterInnen aktiv sind, müssen die Bewertungsschemata bei prinzipiell gleichartigen Aufgabenstellungen, aber doch unterschiedlichen Projektaufträgen objektiv, reliabel und valide sein und damit in unterschiedlichen Rahmenbedingungen gerechte und gleiche Bewertungskriterien vorsehen.
- Die Bewertungsmethoden müssen auch Feedback an die Studierenden umfassen, damit die Lehrenden in ihrer Rolle als Coaches die Entwicklung von Selbst- und Sozialkompetenzen anregen und fördern und diese mit den Studierenden reflektieren können.
- Das gesamte Bewertungsschema muss für die Studierenden sinnvoll und nachvollziehbar sein sowie damit als fair empfunden werden.
Die Beurteilung ist breit und gleichzeitig spezifisch gestaltet, um jedem einzelnen Studierenden ein 360 Grad Feedback zu ermöglichen. Die wichtigsten Eckpunkte davon sind:
- Der/die ProjektautraggeberIn vergibt 20% der LV-Note: Bewertet wird dabei,
- nach dem 1. Projektsemester: wie gut hat das Projektteam die Bedürfnisse/Probleme des Kunden/der Kundin erkannt #
- zum Projektabschluss: wie zufrieden ist er/sie mit dem Projektergebnis.
- in beiden Semestern: wie gut war die Kommunikation des Teams mit dem/der ProjektauftraggeberIn.
- Der/die LektorIn beurteilt die sinnvolle Anwendung des Projektmanagement-Fachwissens sowie der Projektdokumentation (50% der Gesamtnote)
- Die verbleibenden 30% der LV-Note werden für die teaminterne Reflexion und die externe Stakeholderwahrnehmung vergeben:
- Beim weiter oben beschriebenen strukturierten Reflexionsprozess wird nur die aktive Teilnahme an der Gruppenreflexion sowie die Ergebnisse des vierten Schritts bewertet, da eine Bewertung der Schritte 1 und 2 einen sinnvollen Reflexionsprozess mit den Studierenden verhindern würde.
- Das Projektpraktikum wird mit einer Projektvernissage würdig abgeschlossen, bei der alle Projektteams ihre Ergebnisse vor einer Fachjury präsentieren. Die Fachjury stellt die Sichtweise der externen Stakeholder dar, die Interesse am Projekt haben, aber nicht selbst daran mitgewirkt haben. Bewertet wird die Verständlichkeit der Projektdokumentation, der Projektstand selbst sowie die Kompetenz der Studierenden, das Projekt zu erklären.
Zur Unterstützung des Lernprozesses der Studierenden sowie auch für die LektorInnen, AuftraggeberInnen und Fachjurymitglieder wurden mehrere kompetenzorientierte Bewertungs-, Feedback- und Reflexionsformate entwickelt, die im Download-Dokument näher beschrieben werden.
Rubrics
Für die Beurteilung der Projektmanagementkompetenzen wie auch die Bewertung durch den/die ProjektauftraggeberIn gibt es zur besseren Orientierung und Kalibrierung eine konkrete Beschreibung einer unzureichend, durchschnittlich und ausgezeichenten Erfüllung der einzelnen Kriterien (siehe Download-Dokument)
Self-Assessment-Techniken sowie Peer-Assessment-Methoden
Das Peer-Assessment ist von der Idee geleitet, dass die Mitglieder der jeweiligen Teams sich am Ende jedes Semesters gegenseitig nach mehreren sozial relevanten Verhaltensdimensionen wie Kooperationsbereitschaft, Teamfähigkeit, Kompromissfähigkeit, individueller Beitrag zum Teamerfolg beurteilen. Zu diesem Zweck wurde in Moodle ein Befragungstool eingerichtet, das zwei Ergebnisse liefert: Zum einen eine Bewertung jedes einzelnen Mitglieds aus Sicht der anderen Teammitglieder; und zum anderen für jede Verhaltensdimension einen Durchschnittswert für das gesamte Team. Zusätzlich können die Studierenden ihre individuelle Fremdbeurteilung mit den Durchschnittswerten für die jeweilige Verhaltensdimension vergleichen.
Diese beiden Ergebnisse – individuelle Fremdbeurteilung und kollektive Selbstbeurteilung – sind nicht benotungsrelevant. Sie sind vielmehr die Grundlage für die Reflexionen über die Qualität der Teamarbeit, die die Coaches mit den Studierenden durchführen. Wie die ersten Erfahrungen zeigen, besitzt diese Peer Assessment-Verfahren drei Vorteile:
- Die Teamreflexion mit den Studierenden wird sachbezogener
- Die Studierenden können die Ergebnisse aufgrund der Objektivierung sehr gut annehmen können;
- Die Coaches können damit ein Instrument für die Weiterentwicklung der „Teamkultur“ sowie für ein individuelles Coaching nutzen.
Das Self-Assessment ist ein kurzer, auf arbeitspsychologischen Skalen beruhender Fragebogen, mit dem die Studierenden ihre Eigenständigkeit und Initiative bewerten. Die Coaches nutzen die Ergebnisse der Befragung für die Einzelreflexionen mit den Studierenden, in denen wie bei den Peer Assessments sowohl positives Feedback wie auch die Möglichkeiten zur Verbesserung der individuellen Beiträge zum Teamerfolg besprochen werden. Bis zu diesem Zeitpunkt ist auch das Self-Assessment nicht benotungsrelevant. Jedoch sind die Studierenden im Anschluss gefordert, eine schriftliche Dokumentation über die Einzelreflexion zu verfassen, die bewertet wird und in die Gesamtnote einfließt.
Erweiterte Rolle des Lektors/der Lektorin
Der/die LektorIn agiert als Projektcoach und zieht sich nach einer anfänglichen Einführung in das Projekt auf diese beobachtende und unterstützende Rolle zurück, da die Eigenständigkeit des Projektteams ein wesentliches Kriterium des Kompetenzerwerbs ist. Der/die AuftraggeberIn und der/die LektorIn werden vom Projektteam regelmäßig über den Projektfortschritt informiert. Wesentliche Änderungen werden mit dem/der AuftraggeberIn in einem strukturierten Change Request-Prozess diskutiert und entschieden.
Ein wesentlicher Effekt für die Lehre ist, dass durch die Überarbeitung der Lernziele und der Prüfungsformate die Rollen der Lehrenden maßgeblich erweitert werden. Die beteiligten LektorInnen sind nun zusätzlich zu ihren Rollen als Fachexperte/in und Prüfer/in auch BeobachterInnen und Coaches von Einzel- und Gruppenprozessen. Daraus ergibt sich auch die Notwendigkeit, das eigene Portfolio durch Lehrkompetenzen zu erweitern, die für die Planung und für das Gelingen von Gruppen- und Einzelreflexionen hilfreich sind.
360 Grad Feedback für Studierendenprojekte von Christian Steinreiber ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.